Marokkoprojekt: Arbeiten, lachen, das Gemeinsame entdecken

„Ich staune, dass in Deutschland Männer kochen und Hausarbeiten machen“ – „Für mich sind die vielen Verkehrszeichen hier in Deutschland sehr ungewöhnlich. Und dass die Menschen hier sich an die ganzen Verkehrsregeln auch halten!“ Das waren zwei von vielen Rückmeldungen der 14 marokkanischen Jugendlichen, die gerade für 10 Tage in Augsburg waren. Sie haben am Marokkoprojekt der Freien Waldorfschule Augsburg teilgenommen und waren bei Augsburger Schülern und deren Familien untergebracht. Im Vorfeld hatte es einige Aufregung gegeben, weil drei Schülern und einem Lehrer das Visum verweigert worden war, aber die Organisatorin des Projektes, die Waldorflehrerin Isabella Geier, besorgte sich Unterstützung der Bundestagsabgeordneten Claudia Roth, der Kultusministerkonferenz und des Pädagogischen Austauschdienstes, sowie von Mitarbeiterinnen des Bundespräsidenten. Erst kurz vor dem Abflug war dann klar, dass doch die gesamte Gruppe kommen durfte.

Bereits seit 2009 besuchen sich Gruppen der Freien Waldorfschule und des Lycée Al Farabi im marokkanischen Had Kourt gegenseitig, um miteinander zu lernen, zu arbeiten und Freizeit zu verbringen. In diesem Jahr haben die deutschen und die marokkanischen Schüler gemeinsam das große Dach des Fahrradständers an der Waldorfschule begrünt, ein Energie-Fahrrad zum Aufladen von Handys gebaut und zwei Fotowände hergestellt, die einen Bayern und eine Marokkanerin darstellen. Ursprünglich wollten die Schüler diese Objekte anlässlich des 10. Jubiläums der Stadt Augsburg schenken, aber alle angefragten Stellen winkten bedauernd ab – wegen fehlender Sicherheitszertifizierung.

Im Fürstenzimmer des Rathauses hieß die Stadträtin Ingrid Fink die Gruppe im Namen von Bildungsreferent Köhler willkommen. Sie bedankte sich ausdrücklich bei den gastgebenden Eltern aus Augsburg für deren Offenheit und Gastfreundschaft.  Die Schülerin Klara Lonnemann, die für die gastgebenden Schüler sprach, sagte unter anderem „Es ist schön, so viele Gemeinsamkeiten zu entdecken, obwohl wir so unterschiedlich sind“.

Zum Programm gehörte auch eine Stadtrallye, ein interreligiöses Gespräch mit einem Muslim, einem Juden und einer Christin, eine Orgelvorführung, ein Theaterabend auf dem Moritzplatz mit Riad Ben Ammar und seinem Theater für Bewegungsfreiheit, ein Ausflug nach Nürnberg und das gemeinsame Betrachten des Films „Kapernaum“. Der Wandertag fiel dem Regen zum Opfer, über den sich aber alle freuten, denn die Hitze in den Tagen davor war mindestens marokkanisch gewesen. Beim Besuch des jüdischen Kulturmuseums gab es eine Überraschung: eine der beiden Führerinnen hatte als Schülerin selbst an der allerersten Begegnung in Marokko teilgenommen. Neben Arbeit und Kultur gab es auch Sport und Spiel, ein Besuch der Augsburger Kahnfahrt und Baden im Lech. Beim Abschlussfest präsentierten die marokkanischen Schüler ein selbst geschriebenes Theaterstück in französischer Sprache und eine Modenschau traditioneller Gewänder aus verschiedenen Regionen Marokkos, die Workshop-Ergebnisse wurden besichtigt und ausprobiert, und Schüler beider Länder präsentierten in kleinen Dialogen, was sie an Deutsch und an Arabisch gelernt hatten. Die Gastgeber erfuhren, was den Marokkanern in Deutschland besonders aufgefallen war, nämlich dass alles durchorganisiert und sauber ist, dass die Deutschen nicht beten, dass sie Tiere im Haus haben, dass Eltern und Kinder einen lockeren Umgang pflegen, dass Väter in der Küche helfen, dass deutsche Jugendliche es gegenüber Erwachsenen und Lehrern zuweilen an Respekt mangeln lassen, und dass es auch in Deutschland Bettler gibt. Umgekehrt fanden die deutschen Schüler, dass ihre marokkanischen Kameraden langsamer laufen, und dass nicht nur Mädchen untereinander viel Körperkontakt haben, sondern auch Jungen.

Eine der gastgebenden Mütter, Agnes Guthausen, sagte, wie sehr sie sich gefreut habe, zu sehen, wie sehr sich ihre Tochter um „ihre“ Marokkanerin bemüht habe. Eine andere Mutter betonte, dass sie es sehr wichtig finde, dass Jugendliche Erfahrungen mit Gleichaltrigen aus einem anderen Land machten.

Die Geschichts- und Französischlehrerin Isabella Geier hat das Marokkoprojekt gemeinsam mit Chafik Graiguer, damals Philosophielehrer in Had Kourt, 2008 ins Leben gerufen, die erste Begegnung fand 2009 statt. „Es gibt keine Alternative zum direkten Dialog, wenn kulturelle Vorurteile abgebaut werden sollen.“ Davon ist Isabella Geier überzeugt, die nach den Anschlägen auf das Worldtrade-Center und der darauffolgenden pauschalen Verurteilung von Muslimen das Partnerschaftsprojekt mit dem islamischen Land initiierte. Das Projekt wurde im Herbst 2011 mit dem Zukunftspreis der Stadt Augsburg ausgezeichnet und der Pädagogische Austauschdienst der Kultusministerkonferenz Bonn verlieh dem engagierten Team in Augsburg und Had Kourt ebenfalls mehrere Preise.